Stoker – Die Unschuld endet von Park Chan-wook (USA 2013) |
Nach dem unerwarteten Tod von Indias (Mia Wasikowska) Vater (Dermot Mulroney) kommt ihr Onkel Charlie (Matthew Goode), von dem sie bislang nicht wusste, dass er überhaupt existiert, um bei ihrer Mutter (Nicole Kidman) und ihr zu leben, um ihnen bei der Trauer zu helfen. India und ihre Mutter sind emotional beide nicht sehr stabil und nehmen die von ihm angebotene Hilfe dankend an (also zumindest Indias Mutter). Schon bald nach Charlies Ankunft hat India den vagen Verdacht, dass ihr charmanter und doch irgendwie mysteriös wirkender Onkel Charlie ein dunkles Geheimnis vor ihnen verbirgt. Es dauert nicht lange, bis sich diese Vermutung bestätigt. Schon bald verschwinden die ersten Menschen aus Indias Umgebung und Charlie scheint etwas damit zu tun zu haben. Trotzdem fühlt India sich zu ihrem geheimnisvollen Onkel immer mehr hingezogen…
„Stoker“ ist der erste Film des südkoreanischen Regisseurs Park Chan-wook („Oldboy“) im englischsprachigen Raum. Dieses Debüt ist ihm über weite Strecken sehr gut gelungen. „Stoker“ ist ein Film, der funktioniert wie ein Uhrwerk: Jedes noch so kleine Zahnrädchen greift nahtlos in das nächste.
Böses Blut
(Massive Spoilerwarnung für alle folgenden Absätze voraus) Eigentlich ist die Handlung von „Stoker“ sehr simpel: Böses Blut und Geisteskrankheiten sind vererbbar und kommen immer in der einen oder anderen Form an die Oberfläche. Dass India nicht „nur“ ein wenig seltsam ist, sieht man nicht nur daran, dass sie am Ende des Filmes den kümmerlichen Rest ihrer Familie auslöscht. Angedeutet wird ihre Ähnlichkeit mit ihrem Onkel (der genauso verrückt ist) bereits von Anfang an in vielen kleinen Szenen. Meine Lieblingssequenz ist die, in der sie auf ihrem Bett liegend die Bewegungen macht, mit denen man einen Engel in den Schnee macht. Ihr Onkel hat – wie wir später sehen werden – genau das gleiche an der Stelle gemacht, an der er seinen kleinen Bruder lebendig begraben hatte.
In dem Film gibt es eine Parallele zu „Dexter“, einer meiner Lieblingsserien. Wenn Richard mit seiner Tochter India in Rückblenden auf Entenjagd geht, erinnert das an einige Szenen in der ersten Staffel von Dexter, die ihn mit seinem Vater zeigen. In beiden Fällen ist es so, dass die Väter erkannt haben, dass ihre jeweiligen Kinder geistig abnorm sind und einen Hang zum Töten verspüren. Beide versuchen, diesen Trieb bei ihren Kindern zu kanalisieren. Während Dexters Vater die krankhafte Veranlagung seines Sohnes bis zu einem gewissen Grad ausnutzt (er trainiert ihn zwar darauf, nur Menschen zu töten, die selbst davongekommene Mörder sind, dennoch ist das Mord), versucht Richard, seiner Tochter nahe zu bringen, dass sie sich bei der Jagd „austoben“ könnte. Leider ist das Schießen auf Enten langfristig gesehen für India nicht sehr befriedigend.
Eigener Stil
„Stoker“ ist ein gutes Beispiel dafür, wie ein fähiger Regisseur gemeinsam mit einem außergewöhnlichen Ensemble selbst die einfachsten Szenen gruselig wirken lassen kann und wenn es nur darum geht, die Schale von einem Ei zu entfernen. Die knackenden Geräusche, die das Ei macht, während Mia Wasikowska es über die Tischplatte rollt, haben mir kalte Schauer über den Rücken gejagt.
Das Ensemble dieses Films als großartig zu bezeichnen, wäre eine Untertreibung. Matthew Goode kannte ich vorher nur als Ozymandias aus „Watchmen“. In „Stoker“ spielt er den verrückten Mörder so gut, dass er selbst wenn man seine Verbrechen bedenkt, noch fast human wirkt. Nicole Kidman läuft vor allem in der zweiten Hälfte des Filmes zu Höchstform auf (der Monolog, in der sie ihrer Filmtochter die Pest an den Hals wünscht, ist Kino in seiner besten Form). Mia Wasikowska wirkt als India so unnahbar wie zerbrechlich und Matthew Goode schafft es, dass ich innerlich zusammenzucke, wenn er nur mit dem Gürtel droht.
Die Atmosphäre und die Ausstattung erinnern nicht von ungefähr an die Gothic Novels und Geisterhausgeschichten früherer Zeiten, ich habe mich mehrfach an Geschichten wie „The Turn of the Screw“ erinnert gefühlt, obwohl es in Henry James‘ Roman um etwas ganz anderes geht. (Dass mir ausgerechnet dieses Buch in den Sinn kam, könnte auch daran liegen, dass ich den Roman erst vor kurzer Zeit wieder einmal gelesen habe. Ein wirklich empfehlenswertes Buch!)
An dem Film stört nur eine Kleinigkeit: In einer Rückblende sehen wir, dass Charlie Richard umgebracht hat, nachdem dieser Charlie aus der Irrenanstalt abgeholt hatte. Charlie war dort seit dem Tag, an dem er Johnson, den jüngeren Bruder der beiden, ermordet hat. Richard holt Charlie ab und eröffnet ihm, dass er auf keinen Fall bei seiner Familie wohnen kann, was diesem verständlicherweise gar nicht schmeckt. Er rastet daraufhin aus und tötet Richard, der von der Tatsache, dass sein psychopathischer Bruder mörderisch aggressiv wird, völlig überrascht und er hat auch keine wie auch immer gearteten Vorkehrungen getroffen, um sich verteidigen zu können. Sorry, aber wenn ich genau weiß, dass mein Bruder so reagieren könnte (und die Angst steht Richard in den Szenen davor regelrecht ins Gesicht geschrieben), dann ergreife ich vor dem Treffen ein paar Vorsichtsmaßnahmen.
Fazit zu Stoker
Park Chan-wooks „Stoker“ ist nicht nur für Thrillerfreunde und Fans von Gothic Novels gleichermaßen empfehlenswert. Jeder Mensch, der einen guten Film mit ein wenig Anspruch zu schätzen weiß, sollte einen Blick riskieren.