Der dümmste Artikel der letzten Jahre…

....ist hoffentlich nicht dieser, sondern der, den ich heute in der Huffington Post gelesen habe: If JK Rowling Cares About Writing, She Should Stop Doing It. Die Autorin Lynn Shepherd stellt in dem Kommentar die These auf, dass Rowling mittlerweile so erfolgreich ist, dass sie allein mit der Publicity rund um ihre Neuerscheinungen anderen ambitionierten Autoren den Platz wegnehmen würde. Der Artikel ist an so vielen Ecken und Enden ungerecht, undurchdacht und falsch, dass ich ihn nicht einfach so stehen lassen kann, deshalb werde ich ihn hier Punkt für Punkt sezieren.


….ist hoffentlich nicht dieser, sondern der, den ich heute in der Huffington Post gelesen habe: If JK Rowling Cares About Writing, She Should Stop Doing It. Die Autorin Lynn Shepherd stellt in dem Kommentar die These auf, dass Rowling mittlerweile so erfolgreich ist, dass sie allein mit der Publicity rund um ihre Neuerscheinungen anderen ambitionierten Autoren den Platz wegnehmen würde. Der Artikel ist an so vielen Ecken und Enden ungerecht, undurchdacht und falsch, dass ich ihn nicht einfach so stehen lassen kann, deshalb werde ich ihn hier Punkt für Punkt sezieren.

„I didn’t much mind Rowling when she was Pottering about. I’ve never read a word (or seen a minute) so I can’t comment on whether the books were good, bad or indifferent. I did think it a shame that adults were reading them (rather than just reading them to their children, which is another thing altogether), mainly because there’s so many other books out there that are surely more stimulating for grown-up minds.“


Schon beim zweiten Absatz kommt mir die Kotze hoch. Eine Autorin sollte eigentlich wissen, was am wichtigsten ist, wenn man ein Buch beurteilen möchte: Es gelesen zu haben! Zwar betont Shepherd im ersten Satz, dass sie nicht beurteilen könne, wie gut Rowlings Potter-Reihe wäre, tut das aber nur, um lediglich einen Halbsatz später zu sagen, dass es für Erwachsene doch sicher stimulierendere Lektüre geben würde. Es würde mich nicht wundern, wenn Shepherd damit ihre eigenen Werke meint, an anderen Stellen trieft ihr Essay vor kaum verhohlenem Neid.
Schauen wir einmal, was Shepherd zu „Ein plötzlicher Todesfall“, dem ersten „Nach-Potter-Buch“ von Rowling zu sagen hat

„It wasn’t just that the hype was drearily excessive, or that (by all accounts) the novel was no masterpiece and yet sold by the hundredweight, it was the way it crowded out everything else, however good, however worthwhile. That book sucked the oxygen from the entire publishing and reading atmosphere.“


Ach was! Sag‘ an, man hat also echt mehr Presse, wenn man berühmt ist! J. K. Rowling spielt, was ihren Bekanntheitsgrad angeht, in einer Liga mit Stephen King, Dan Brown und Nicholas Sparks. Wenn du erst einmal so weit oben bist, berichten die Medien automatisch mehr über dich, selbst wenn deine letzte Veröffentlichung eine Sammlung deiner Einkaufszettel der letzten drei Monate war. Außerdem: Dass die Berichterstattung in den Literaturteilen der Zeitungen eine Zeit lang fast nur mit „Ein plötzlicher Todesfall“ beschäftigt waren, hatte in meinen Augen noch einen anderen Grund. Kein großes Verlagshaus hat in dieser Zeit eine seiner Spitzenveröffentlichungen ins Rennen geschickt und das aus gutem Grund. Keiner wollte offenbar in Konkurrenz zu dem zu erwartenden Hype treten und sich die eigenen Verkaufszahlen ruinieren. Bei Kinofilmen ist das oft nicht anders, die großen Studios vermeiden es immer wieder, ihre Blockbuster gleichzeitig starten zu lassen. Die Medien hatten also nicht viele Alternativen, was die Berichterstattung angeht und bereits bekannte Persönlichkeiten werden nun einmal von den Menschen lieber gelesen. Autorinnen und Autoren, die den Literaturmarkt dominiert haben, gab es früher schon: Heinz G. Konsalik, Johannes Mario Simmel, Edgar Wallace, Agatha Christie und Co hatten ebenfalls entsprechende Presse, wenn sie ein neues Buch veröffentlicht haben. Das bedeutet aber nicht, dass sie dem Rest die Luft zum Atmen nehmen., sondern „nur“, dass es eben ein paar Wochen dauern kann, bis die Medienkarawane weiter zieht.

„Publishing a book is hard enough at the best of times, especially in an industry already far too fixated with Big Names and Sure Things, but what can an ordinary author do, up against such a Golgomath?“


Die Antwort auf diese Frage ist einfach zu geben und schwierig durchzuführen: Er oder sie muss einfach nur ein Buch schreiben, das genauso viel Potenzial hat, wie zum Beispiel Harry Potter. Dann darf er oder sie nicht nachlassen, denn Rowlings Werk wurde von einer ganzen Reihe von Verlagen abgelehnt. Dann sollte er oder sie darauf hoffen, dass der Verlag intelligent genug ist, ihn nicht zu verheizen, indem der Debütroman gleichzeitig mit einer Neuerscheinung von Rowling, King und Co herauskommt, sonst dürften die ohnehin spärlichen Berichte über das Buch eines/einer Unbekannten gegen Null tendieren.

„And then there was the whole Cuckoo’s Calling saga. I know she used a pseudonym, and no doubt strenuous efforts were indeed made to conceal her identity, but there is no spell strong enough to keep that concealed for long. Her boy hero may be able to resort to an invisibility cloak, but in the real world, they just don’t exist. With a secret as sensational as that, it was only a matter of time until the inevitable happened, and then, of course, this apparently well-written and well-received crime novel which seems to have sold no more than 1,500 copies under its own steam, suddenly went stratospheric.“


Echt jetzt? Soll J. K. Rowling jetzt daran schuld sein, dass ihr Pseudonym aufgedeckt worden ist? Das kann doch nicht ernst gemeint sein. (Woher weiß Shepherd eigentlich von Potters Tarnumhang, wenn sie die Bücher nicht gelesen hat?) Und ja, die bösen Medien berichten dann auch noch darüber, dass diese böse böse Autorin heimlich ein Buch unter anderem Namen veröffentlicht hat. Das ist natürlich ein völliges Novum, sodass Shepherd sich völlig zurecht darüber aufregt, nicht wahr??
Oh.

„Rowling has no need of either the shelf space or the column inches, but other writers desperately do.“


Warum werde ich das Gefühl nicht los, dass Lynn Shepherd sich schwer zurückhalten musste, damit sie nicht so etwas wie „so wie ich zum Beispiel“ an das Ende dieses Satzes schreibt? Außerdem: Für so etwas haben zumindest die größeren Verlage Marketingabteilungen. Ich gehe einmal davon aus, dass auch ein Neuling entsprechend promoted wird, wenn ein größerer Verlag ihr oder sein Buch herausbringt. Manche schaffen das sogar ganz ohne Verlag. Fragt mal nach bei Amanda Hocking, die hat ihre Bücher im Selbstverlag rausgebracht und trotzdem Millionen damit verdient. Meine Frage an Lynn Shepherd lautet: Wie ist das zu erklären, wenn doch Erfolg und Misserfolg allein vom Hype in den Medien abhängt? Oder gehört da vielleicht doch noch etwas anderes dazu?


„So this is my plea to JK Rowling. Remember what it was like when The Cuckoo’s Callinghad only sold a few boxes and think about those of us who are stuck there, because we can’t wave a wand and turn our books into overnight bestsellers merely by saying the magic word. By all means keep writing for kids, or for your personal pleasure – I would never deny anyone that – but when it comes to the adult market you’ve had your turn. Enjoy your vast fortune and the good you’re doing with it, luxuriate in the love of your legions of fans, and good luck to you on both counts. But it’s time to give other writers, and other writing, room to breathe.“


Übersetzung: „Liebe J. K. Rowling, wie kannst du es nur wagen, jetzt neben deinen Megabestsellern im Kinder- und Jugendbuchgenre jetzt auch noch gute Bücher für Erwachsene zu schreiben? Weißt du denn nicht, dass das mein Metier ist?? Schreib du mal lieber wieder deine eh voll doofen Kinderbücher, denn das ist das einzige, was du von meinen Gnaden darfst! Jetzt geh wieder mit deinen Luxusgütern spielen, während wir hier die richtigen Bücher für Erwachsene schreiben.“
Bisher war ich mit Shepherd nur nicht derselben Meinung. Der letzte Absatz ihres Pamphlets treibt mich aber endgültig auf die Palme. Erstens ist die Aussage, dass Rowling wieder für Kinder schreiben soll, eine absolut unqualifizierte Herabwürdigung der Kinder- und Jugendliteratur. Dass Shepherd diese nicht versteht, hat sie aber schon damit bewiesen, dass sie Harry Potter als „nicht stimulierend“ bezeichnete, obwohl sie die Bücher nicht kennt. Deshalb kann sie sie eigentlich nur deshalb so nennen, weil sie diese Art von Literatur nicht versteht oder als Literatur zweiter Klasse betrachtet. Die Forderung, dass Rowling sich in Zukunft vom „Erwachsenenmarkt“ fernhalten soll, ist aber eine fast noch größere Frechheit. Die Frau hat mit „Ein plötzlicher Todesfall“ und „Der Ruf des Kuckucks“ (die ich beide sehr schätze) bewiesen, dass sie viel mehr kann, als „nur“ Kinderbücher zu schreiben. Ich glaube, dass Shepherd genau davor Angst hat, weil das – aus ihrer Sicht – ihre Chancen weiter schmälert, einmal genauso berühmt und anerkannt zu werden wie Rowling. Während einer Facebook-Diskussion hat jemand folgendes dazu geschrieben: Wäre es nicht eine wunderbare Ironie des Schicksals, wenn Shepherds nächstes Buch ein Bestseller werden würde? Dann könnte man ihr diesen Artikel vorhalten und sie fragen, ob sie jetzt auch mit dem Schreiben aufhört, nach ihrer eigenen Logik müsste sie das ja tun.
Auf einen Punkt vom Anfang möchte ich noch kurz eingehen: Shepherd schreibt, dass es doch stimulierendere Bücher für Erwachsene gebe als Harry Potter. Dem möchte ich folgendes entgegenhalten: Rowling hat mit ihren Büchern etwas geschafft, was ich nicht mehr für möglich gehalten hätte: Sie hat unter Kinder und Jugendlichen einen weltweiten Hype um eine Buchreihe ausgelöst. Millionen von Kindern haben sich stundenlang angestellt, um pünktlich am Tag der Veröffentlichung ein Exemplar zu ergattern, weil sie es nicht erwarten konnten, zu erfahren, wie die Geschichte weitergeht. Dass jemand, der selbst Bücher schreibt, nicht erkennen kann, dass diese Bücher etwas Stimulierendes haben müssen, will ich nicht glauben. Lynn Shepherd hat so etwas in diesem Ausmaß bisher noch nicht geschafft. Ich stelle aber nicht in Abrede, dass sie das in der Zukunft vielleicht noch schafft. Denn anders als sie es tut, beurteile ich ihre Schreibkünste nicht, ehe ich etwas davon gelesen habe.

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Udo Seelhofer
Udo Seelhofer
27. Februar 2014 18:57

Schade, dass es auf meinem Blog keine "Like"-Funktion ala Facebook gibt. Dann hättest du jetzt ein "Gefällt mir" mehr, Britta! 🙂

Anonym
Anonym
27. Februar 2014 18:44

Welch wundervolle Fremsprache ist doch die Ironie… wenn man sie versteht.

Britta Wisniewski
Britta Wisniewski
27. Februar 2014 16:22

Dazu fällt mir jetzt nur eins ein: Rowling … klar .. aber wer zum Teufel ist diese Shepherd? Und ein Sprichwort: "Um ein gutes Mitglied einer Schafherde zu werden, muss man vermutlich … ein Schaf sein!"

Udo Seelhofer
Udo Seelhofer
27. Februar 2014 1:41

Ich dachte, es ist klar ersichtlich, dass diese "Übersetzung" ironisch gemeint ist. 😉

Christian Bass
Christian Bass
26. Februar 2014 20:13

Wenn ich einmal anmerken darf, die Uebersetzung ist nicht korrekt und dabei wird ein Bild von der Schreiberin gezeichnet, welches sie in dieser Art vielleicht meinte, jedoch keineswegs schrieb!

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