Harte Schule von Lee Hirsch |
Jährlich werden in den USA 13 Millionen Kinder Opfer von Mobbing-Attacken in der Schule, im Internet, via Handy und auf den Straßen ihrer Heimatstadt. Mehr als 160.000 von ihnen bleiben deshalb der Schule aus Furcht vor den oftmals täglichen Attacken ihrer Mitschüler fern. Die Dokumentation „Harte Schule“ (Originaltitel: „Bully“) von Regisseur Lee Hirsch befasst sich mit diesem Thema und zeigt, wie wir alle davon betroffen sind und zwar entweder als Opfer, Täter oder stillschweigende Zeugen. Harte Schule beginnt mit dem ersten Schultag nach den großen Ferien und begleitet einige Mobbing-Opfer ein ganzes Schuljahr lang. Der Film zeigt, wie die Tage dieser Schülerinnen und Schüler von Angst dominiert werden. Dabei zeigt der Film an einem Fall auch, was passiert, wenn das Opfer so weit getrieben wird, dass es zu extremen Mitteln greift, um sich zur Wehr zu setzen. Manche kommen leider nur noch posthum (durch ihre Eltern) zu Wort, da sie in ihrer Verzweiflung keinen anderen Ausweg mehr sahen, als sich das Leben zu nehmen. Hirsch zeigt in seiner Dokumentation auch, wie die Behörden mit diesem Problem umgehen, die das Problem oftmals herunterspielen und unter den Teppich kehren…
Harte Schule von Lee Hirsch
Diese Dokumentation von Lee Hirsch aus dem Jahr 2011 spricht ein Thema an, mit dem jedes Kind in der Schule einmal konfrontiert wird. Dass Mobbing ein großes Problem darstellt ist ja schon bekannt, dafür bräuchte es nicht noch eine Dokumentation. Dennoch ist „Harte Schule“ aus mehreren Gründen sehenswert.
Erstens zeigt der Film schonungslos, wie unfähige Behörden und Schulleiter dieser Sache völlig ratlos gegenüber stehen. Das wird sehr schön an einer Szene illustriert, in der die stellvertretende Direktorin einer Kleinstadtschule einen Schläger und sein Opfer zur Versöhnung bringen wollte. Das Opfer erzählte erst, dass es von seinem Peiniger regelmäßig gequält, geschlagen und mit dem Umbringen bedroht wurde („Ich stech dich ab“ und so weiter) und das das jeden Tag so sei. Das wurde auch schon mehrfach von dem Schüler gemeldet, passiert sei nichts und die Entschuldigungen des Täters (habe leider die Namen vergessen) waren ebenfalls nicht ernst gemeint. Die Maßnahme der stv. Direktorin sieht so aus: „Ihr gebt euch jetzt die Hand, du entschuldigst dich und dann ist alles wieder gut.“ Als das Opfer dann verständlicherweise den Handschlag verweigert, legt die Direktorin so richtig los, es kommen Aussagen wie „Ich hätte mehr von dir erwartet“ und (mein „Lieblingszitat“) „Wenn du seine Hand nicht nimmst, bist du genauso wie er.“ Dass die Drohungen schon so schlimm geworden sind, dass einmal sogar die Polizei kommen musste und die Beamten den Täter anwiesen, sich vom Opfer fern zu halten, ignoriert sie völlig. Statt dem Täter seine Grenzen zu zeigen, beschämt sie also das Opfer.
Grandios ist auch das Gespräch der Frau mit den Eltern eines anderen Mobbingopfers. Die Mutter sitzt weinend vor ihr und sie hat nichts besseres zu tun, als ein Foto ihres Enkelkindes zu zeigen und zu sagen, dass sie auch weinend hier sitzen würde, wenn sie an ihrer Stelle wäre. Aber: Sie sei persönlich einmal mit dem Schulbus, in dem ihr Sohn geschlagen, gewürgt und bedroht („Ich nehme ein Messer und schneide dir damit das Gesicht herunter!“) und die Kinder seien da „wie kleine Lämmchen“ gewesen, deshalb könne es nicht sein, dass da etwas nicht stimme. Bei dieser Aussage war ich einfach nur sprachlos, denn so viel pädagogische Unfähigkeit gepaart mit dummdreister Ignoranz habe ich noch nie erlebt.
Getrieben bis zum Äußersten
Der Film zeigt auch was passiert, wenn die Opfer keinen Ausweg mehr sehen. Der Fall des 11-jährigen Tyler Long ist besonders tragisch. Tyler wurde von einigen Mitschülern so sehr drangsaliert, dass er sich in seiner Verzweiflung das Leben nahm. Seine Eltern treten seither öffentlich gegen Mobbing in der Schule auf. Bezeichnend ist eine Aussage seines Vaters: „Wenn ein Politikerkind sich wegen Mobbing das Leben nimmt, haben wir morgen ein Gesetz. Aber wir sind ja Niemande.“ Traurig, dass man ihm diese Annahme sofort glaubt.
Was auch passieren kann, wenn ein Mobbingopfer zu weit getrieben wird, zeigen die Geschehnisse rund um Ja’Meya Jackson. Die wurde nämlich so lange gequält, bis sie eines Tages völlig austickte und eine Pistole in den Schulbus mitnahm. Als dann an diesem Tag die Quälereien wieder losgingen zog sie die Waffe, um – laut ihrer Aussage – ihre Mitschüler zu erschrecken. Verletzt wurde Gott sei Dank niemand, Ja’Meya wurde von einem anderen Schüler überwältigt und entwaffnet. Bemerkenswert an diesem Fall ist, dass danach zwar alle erklärten, wie unentschuldbar Ja’Meyas Verhalten war, sich aber keiner darüber Gedanken machte, wie leicht dieser Vorfall zu verhindern gewesen wäre, wenn bestimmte Menschen sich vorher damit befasst hätten, was hier eigentlich passiert.
Absolute Sprachlosigkeit
Lee Hirsch schafft es in dieser Dokumentation mühelos, die Zuschauer sprachlos zu machen. Sein ruhiger Erzählstil und die eindringliche Bildsprache verschmelzen zu einer virtuosen Dokumentation, die das Problem in seiner ganzen Bandbreite erfasst, da hier immer mehrere Seiten beleuchtet werden, Opfer und ihre Eltern kommen genauso zu Wort wie Behörden. Dieser Film sollte weltweit an jeder Schule gezeigt werden, da der Film den Opfern, die sonst keine Stimme haben, Gehör verschafft. Die knappen zwei Schulstunden, welche der Film dauert, sind es wert, dafür hergegeben zu werden.
„Harte Schule“ schafft es, den Zuschauern das Thema näher zu bringen, ohne dabei reißerisch zu werden oder gezielt auf die Tränendrüse zu drücken (wie das leider oft der Fall ist) und das Publikum dennoch bei der Stange zu halten, weil man beim Anschauen einfach bemerkt, wie viel Herzblut in diesem Film steckt. Wenn man dann einen ungefähr elfjährigen Jungen hört, der sagt, dass heute ein guter Tag war, weil sie ihn diesmal großteils in Ruhe gelassen haben (und das, obwohl man vorher noch gesehen hat, wie er von einem Mitschüler im Bus bedroht wurde), dann kommen einem trotzdem die Tränen, weil man dem Kleinen am liebsten helfen möchte.
P.S.: Die stellvertretende Direktorin, von der ich vorhin geredet habe, ist seit dieser Doku aus dem Jahr 2011 keine stellvertretende Direktorin mehr. Sie wurde nämlich gleich zur Direktorin befördert. Offenbar muss man, um für diesen Posten geeignet zu sein, die berühmten drei Affen alle gleichzeitig spielen können: Nichts hören, nichts reden, nichts sehen.